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27. April 2022

Wir stimmen ab: Änderung des Transplantationsgesetzes

Über eine neue Regelung zur Organspende entscheidet die Schweizer Stimmbevölkerung am 15. Mai. Wer seine Organe nach dem Tod nicht spenden möchte, müsste dies neu festhalten. Können wir damit Leben retten oder bedeutet es einen Eingriff in die Grundrechte? Das will Discuss it von Flavia Wasserfallen, Berner SP-Nationalrätin, und Marcel Wittwer, Vizepräsident der EDU Thurgau, wissen.

Letztes Jahr profitierten in der Schweiz 587 Menschen von einer Organspende. Demgegenüber stehen über 1400 Menschen, die gemäss Angaben von Swisstransplant auf ein Spenderorgan warten. Nun möchten Bundesrat und Parlament die Chance von Patient:innen erhöhen, ein Organ zu erhalten. Deshalb wollen sie die Organspende neu mit der erweiterten Widerspruchslösung regeln. Die vorgeschlagene Änderung des Transplantationsgesetzes ist jedoch umstritten, dagegen wurde das Referendum ergriffen. Deshalb stimmen wir am 15. Mai über die Gesetzesänderung ab.

Wie ist die Organspende heute geregelt?

Heute gilt in der Schweiz die erweiterte Zustimmungslösung. Sie richtet sich nach dem Grundsatz: Die Organe dürfen einer verstorbenen Person nur dann entnommen werden, wenn sie zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat. Wenn die verstorbene Person ihren Willen nirgends festgehalten hat im Organspenderegister von Swisstransplant, auf einer Spendekarte oder in einer Patientenverfügung müssen die Angehörigen entscheiden. Sie sollen den mutmasslichen Willen der Verstorbenen berücksichtigen. Das ist jedoch nicht einfach, weil sie den Willen in der Mehrheit der Fälle nicht kennen. Meist entscheiden sich die Angehörigen in dieser Extremsituation, wo sie mit dem Tod eines nahestehenden Menschen konfrontiert sind und noch einen schwierigen Entscheid fällen müssen, gegen eine Organspende. 

Was würde sich bei Annahme des Transplantationsgesetzes ändern?

In der Abstimmung geht es um die Einführung der Widerspruchslösung. Diese gilt bereits in den meisten europäischen Ländern, teils mit Einbezug der Angehörigen als sogenannte erweiterte Widerspruchslösung. So ist es auch in der Schweiz angedacht: Neu müsste jede Person, die ihre Organe nicht spenden will, dies festhalten, sonst wird grundsätzlich von einer Zustimmung ausgegangen. Weiterhin können die Angehörigen aber eine Organspende ablehnen, wenn sie denken, der oder die Verstorbene hätte dies nicht gewollt. Der Bund würde ein neues Register schaffen müssen, in dem alle Personen ihren Entscheid eintragen können. Das kann eine Ablehnung der Organspende insgesamt oder der Spende einzelner Organe sein. Auch eine Zustimmung kann weiterhin festgehalten werden. Grundsätzlich hat auch zukünftig der Wille der verstorbenen Person immer Vorrang.

In der Schweiz sind die Spendezahlen gemäss einer Studie des Europarates verhältnismässig tief. Dies, obwohl in Umfragen rund 80 Prozent der Menschen sagen, sie würden ihre Organe spenden. Mit der neuen Regelung soll, so der Bundesrat, das Potenzial von spendebereiten Menschen besser genutzt werden. Bei einer Annahme müsse die Bevölkerung umfassend über den Wechsel zur Widerspruchslösung informiert werden. Weiterhin gilt, dass bei unter 16-Jährigen die Eltern entscheiden, sie müssen jedoch die Meinung ihres Kindes berücksichtigen. Auch gelten weiterhin die bestehenden Regeln, welchen Personen ein Organ entnommen werden dürfte: Beispielsweise müssen diese im Spital verstorben und der Hirntod festgestellt worden sein.

Wie argumentieren die Gegner:innen?

Die Gegner:innen des neuen Transplantationsgesetz äussern ethische und rechtliche Bedenken. Die Widerspruchslösung verletze die körperliche Integrität. Sie bedeute einen Eingriff in die Grundrechte, sagt Marcel Wittwer, Vizepräsident der EDU Thurgau. Problematisch sieht er auch die Tatsache, dass man grundsätzlich von einer Zustimmung ausgeht, auch wenn eine verstorbene Person ihren Willen nicht festgehalten hat: «Eine Organspende ist etwas Freiwilliges und höchst Persönliches, das der Zustimmung bedarf.» Wittwer anerkennt, dass in der Schweiz ein Organmangel herrscht. Doch er hat Zweifel, ob die Widerspruchslösung daran etwas ändern kann: «Es gibt keine Beweis aus anderen Ländern, dass durch die Widerspruchslösung mehr Organe gespendet werden.»

Was sagen die Befürworter:innen?

Die Befürworter:innen betonen, in der Schweiz würden lebensrettende Organe fehlen. Anders als die Gegner:innen glauben sie, dass die Einführung der Widerspruchslösung daran etwas ändern könne. «In anderen europäischen Ländern, die die Widerspruchslösung kennen, ist die Organspenderate bis zu doppelt so hoch», sagt Flavia Wasserfallen, SP-Nationalrätin aus dem Kanton Bern. Alle fünf Tage sterbe jemand in der Schweiz, weil man kein passendes Spendeorgan gefunden habe. Wasserfallen weist darauf hin, dass die Angehörigen eine Organspende in jedem Fall ablehnen könnten, wenn die verstorbene Person eine solche nicht gewollt hätte. Sie sei überzeugt, so Wasserfallen, «dass wir mit dieser pragmatischen Lösung mehr Klarheit schaffen, die Angehörigen entlasten und Leben retten.»

Was sagen Bundesrat und Parlament?

Bundesrat und Parlament empfehlen, die Änderung des Transplantationsgesetzes anzunehmen. Im Nationalrat sprachen sich 141 Mitglieder dafür aus, 44 dagegen. Der Ständerat sagte ebenfalls Ja mit 31 zu 12 Stimmen.

Erstellt von Ann-Kathrin Amstutz