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6. September 2022

Wir stimmen ab: AHV-21 Reform

Unserem wichtigsten Sozialwerk, der AHV, geht zunehmend das Geld aus. Doch seit 25 Jahren war keine grössere Reform erfolgreich. Was diesmal für und gegen die AHV-Reform spricht, darüber hat Discuss it mit Nationalrätin Diana Gutjahr (SVP/TG) und Gabriela Medici, Zentralsekretärin Altersvorsorge beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), gesprochen.

Wer das Rentenalter erreicht oder ein erwerbstätiges Familienmitglied verliert, hat in der Schweiz Anrecht auf eine AHV-Rente. Die Alters- und Hinterlassenenversicherung ist das wichtigste Sozialwerk der Schweiz: Im letzten Jahr sind rund 47 Milliarden Franken an die Rentner:innen geflossen. Finanziert werden die Ausgaben laufend mit den Beiträgen, die alle Erwerbstätigen in der Schweiz von ihrem monatlichen Lohn leisten. Dieses System, das sogenannte Umlageverfahren, funktioniert aber nur so lange, wie sich die Einzahlungen und Ausgaben in etwa die Waage halten. Um diese Balance geht es in der Abstimmung am 25. September. Hier findest du die wichtigsten Fragen und Antworten zur AHV-2021 Reform.

Warum braucht es überhaupt eine AHV-Reform?

Gemäss Berechnungen des Bundes geht der AHV in wenigen Jahren das Geld aus. Die Ausgaben steigen schneller als die Einnahmen. Das hat zwei Hauptgründe: Zum einen leben die Menschen in der Schweiz immer länger, sodass sie auch länger eine Rente beziehen. Zum anderen kommen die geburtenstarken «Babyboomer»-Jahrgänge ins Rentenalter. Dadurch steigt die Anzahl Rentenbezüger:innen im Vergleich zu den Erwerbstätigen, welche die AHV vor allem mit Lohnabgaben fortlaufend finanzieren.

Die AHV braucht also mehr Geld, so sind sich die meisten einig. Diese Entwicklung hat sich schon lange abgezeichnet, doch in den letzten 25 Jahren war kein einziger grösserer Reformvorschlag erfolgreich. Die letzte Vorlage scheiterte 2017 an der Urne. Lediglich die Zusatzfinanzierung über die STAF-Reform wurde 2019 angenommen. Der Druck wird also immer grösser und eine Reform immer dringlicher. 

Worum geht es in der Reform?

Die AHV-Reform besteht aus zwei Vorlagen. Mit der einen soll das Rentenalter der Frauen von 64 auf 65 Jahre angehoben und damit an das Rentenalter der Männer angeglichen werden. Dies geschieht schrittweise, nämlich jährlich um drei Monate. Frauen, die jetzt kurz vor der Pensionierung stehen (Jahrgänge 1961 bis 1969), profitieren dabei von Ausgleichsmassnahmen: Sie bekommen einen lebenslangen Rentenzuschlag, sofern sie ihre Rente nicht vorbeziehen. Und wenn sie sich vor dem 65. Geburtstag pensionieren lassen, wird die Rente weniger stark gekürzt.

Die zweite Vorlage beinhaltet eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die Mehrwertsteuer ist eine Art Konsumsteuer auf Waren und Dienstleistungen, die wir an den Bund zahlen. Aktuell liegt der normale Mehrwertsteuersatz bei 7,7 Prozent. Mit der AHV-Reform würde dieser Satz auf 8,1 Prozent angehoben, das zusätzliche Geld ginge an die AHV.

Ausserdem könnte man die Rente künftig flexibler beziehen und nebst der Rente auch im Teilzeitpensum weiterarbeiten, um etwaige Rentenlücken aufzufüllen oder die Rente aufzubessern.

Der Bund verspricht sich von der Reform bis 2032 Mehreinnahmen von 17,3 Milliarden Franken, um die Renten bis dahin zu sichern. Dazu müssten an der Urne beide Vorlagen angenommen werden. Es wird zwar über beide einzeln abgestimmt, doch die Vorlagen sind gekoppelt: Wird die eine abgelehnt, so ist die ganze Reform gescheitert. Für die Mehrwertsteuer-Vorlage ist auch ein Ständemehr notwendig, da es sich dabei um eine Verfassungsänderung handelt.

Was sind die Argumente der Befürwortenden?

Für Nationalrätin Diana Gutjahr (SVP/TG) ist klar: Es braucht jetzt die AHV-Reform, damit wir alle auch in Zukunft eine Rente haben. Dass Männer und Frauen künftig gleich lange arbeiten, nämlich bis 65 Jahre, ist in Gutjahrs Augen «diskussionslos». Schliesslich würden Frauen im Schnitt  fünf Jahre länger Rente beziehen, da sie eine höhere Lebenserwartung haben.

Die Reform hat für Gutjahr viele Vorteile. Etwa die flexiblere Pensionierung: «Man kann mit der Vorlage länger arbeiten und damit Rentenlücken auffüllen, um die Rente aufzubessern», erklärt die SVP-Nationalrätin. Weniger gut findet Gutjahr die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Doch zugunsten des «ausgewogenen und breit abgestützten Kompromisses» sei sie bereit, das anzunehmen: «Es ist wichtig, dass wir diese Vorlagen durchbringen.»

Was sind die Argumente der Gegner:innen?

Auch auf der Gegenseite ist der Reformbedarf bei der AHV unbestritten. Doch für Gabriela Medici, Zentralsekretärin Altersvorsorge beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), sind die aktuellen Vorlagen der falsche Weg. Schon heute könnten immer weniger Rentner:innen von der Rente leben. Besonders bei den Frauen sei die Situation prekär, da sie einen Drittel weniger Rente bekämen als die Männer: «Und nun schlägt das Parlament vor, bei denen zu kürzen, die eh schon weniger haben.» Mit der Reform würden die Renten der Frauen laut Medici um 26’000 Franken gekürzt, bei Ehepaaren um 24’000 Franken, weil ein Jahr AHV-Bezug wegfällt.

Das höhere Rentenalter bringe auch zusätzliche Probleme mit sich, warnt Medici: «Schon die 55-Jährigen finden kaum noch eine Stelle.» Mit der Reform würde die Arbeitslosigkeit gegen Ende des Erwerbslebens nur noch schlimmer.

Was sagen Bundesrat und Parlament?

Bundesrat und Parlament sagen Ja zur AHV-Reform. Der Nationalrat empfiehlt beide Vorlagen mit einer Zweidrittelmehrheit zur Annahme, wobei die Vorlage zum Frauenrentenalter auf mehr Widerstand stiess als jene zur Mehrwertsteuer. Dasselbe Phänomen zeigte sich im Ständerat: Er sagte mit Zweidrittelmehrheit Ja zum höheren Frauenrentenalter, während die Mehrwertsteuererhöhung sogar einstimmig angenommen wurde.

Erstellt von Ann-Kathrin Amstutz