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21. Juli 2021

Die Politik mit dem Hochwasser

Bis zu 200 Millimeter Regen sind in den letzten Tagen in der Schweiz gefallen – das sind ungefähr zwanzig Prozent der Niederschlagsmenge eines ganzen Jahres. In Deutschland ist die Situation noch brenzliger: Den Wassermassen sind über 150 Menschen zum Opfer gefallen, hunderte weitere wurden verletzt. Doch das Hochwasser bewegt nicht nur unsere Gesellschaft, es beeinflusst auch die Politik. Von Diskussionen zum Hochwasserschutz über neu entfachte Klima-Debatten bis hin zur Bundestagswahl in Deutschland – Discuss it erklärt euch, wie mit dem Hochwasser Politik gemacht wird.

Am 22. Juni 1877 – vor fast 150 Jahren – wurde mit dem Bundesgesetz über die Wasserbaupolizei der Grundstein zur Schweizer Hochwasserpolitik gelegt. Seither waren die Schweizer Politiker:innen immer wieder damit beauftragt, die Gesetze und Massnahmen zum Hochwasserschutz weiterzuentwickeln und den jüngsten Gegebenheiten anzupassen. So hat der Bundesrat gerade im April dieses Jahres das Bundesgesetz über den Wasserbau in eine Teilrevision gegeben, in der das Gesetz neuen Herausforderungen wie dem Klimawandel angepasst werden soll. Beeinflusst werden diese politischen Prozesse auch immer durch Katastrophen wie das Hochwasser in der vergangenen Woche.

Die Schweizer Hochwasser-Politik im Wandel

Flüsse, die vor braunen Wassermassen überquellen, geflutete Dörfer, eingestürzte Häuser. Die Bilder, die zurzeit durch die Medien gehen, erinnern stark an diejenigen nach dem «Jahrhundert-Hochwasser» von 2005. Das Rekord-Hochwasser hat die Schweiz damals drei Milliarden Franken gekostet und sechs Todesopfer gefordert. Doch während die Bilder der Zerstörung heute ähnlich sind wie diejenigen vor 16 Jahren, hat sich bei den Massnahmen zum Hochwasserschutz in der Schweiz seit damals einiges getan.

Seit 2005 sind insgesamt 4.5 Milliarden Franken in den Hochwasserschutz investiert worden und auch weiterhin plant die Schweiz, jährlich 380 Millionen Franken dafür auszugeben. Ausserdem hat sich auch die Art des Hochwasserschutzes verändert. So werden anstelle von Dämmen nun vermehrt mobile Hochwassersperren eingesetzt, Entlastungsstollen gebaut und alternative Entwässerungsmethoden geprüft (für mehr Infos zu den Lehren aus dem Hochwasser von 2005, siehe hier).

Doch diese Massnahmen stossen nicht bei allen auf Zustimmung. Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu Protesten gegen Hochwassermassnahmen, da sie zu teuer seien oder Kulturland beansprächen. So haben die Anwohner:innen im Berner Altenbergquartier 2020 gegen eine geplante Ufermauer an der Aare protestiert. Diese sei zu hoch und zu viele Bäume würden dafür gefällt. Neben 52 Einsprachen wurde auch eine Petition mit 6’000 Unterschriften eingereicht. In Luzern ist das Projekt «Hochwasserschutz und Renaturierung Reuss» 2019 ebenfalls auf Widerstand gestossen: 56 Einsprachen – unter anderem von vier Umweltverbänden – sind damals beim Kanton eingegangen, da das Projekt Lebensräume geschützter Arten gefährde.

Hochwasser als «Möglichkeitsfenster»

Die Proteste gegen solche Hochwasserprojekte werden mit zunehmender Zeit seit der letzten Katastrophe immer lauter. Während die Erinnerung an die Auswirkungen des Unglücks verblassen, rücken negative Aspekte wie die Kosten solcher Projekte stärker in den Vordergrund. Das führt dazu, dass die Projekte auf weniger Unterstützung stossen resp. mehr Petitionen oder Einsprachen erhalten.

Gibt es aber – wie jetzt – ein neuerliches Hochwasser, wird der Nutzen dieser Schutzprojekte auf einmal wieder viel deutlicher ersichtlich und die Zustimmung der Bevölkerung zu mehr Hochwasserschutz steigt an. In der Politikwissenschaft redet man dann von sogenannten «Möglichkeitsfenstern». Während der Zeit kurz nach einer Katastrophe ist das Problembewusstsein für dieses Thema besonders hoch und politische Lösungen sind besonders einfach umzusetzen. Mit den Bildern von überschwemmten Seeufern und Dörfern dürften neue Hochwasserschutzprojekte im Moment also leichter durchzuführen sein.

Und das Hochwasser bringt auch die Klimaerwärmung erneut auf die politische Agenda. Extremwetterlagen wie diejenige, die in der letzten Woche zu so viel Regen geführt hat, werden mit dem fortschreitenden Klimawandel in Verbindung gebracht. Das wirft die Frage auf, ob uns solche Unwetterkatastrophen in Zukunft häufiger treffen und wie diese zu verhindern wären. Grüne Parteien und Verbände wittern hier ihre Chance, klimafreundliche Massnahmen umzusetzen.

Das Hochwasser und die Bundestagswahl

Doch nicht nur die grünen Parteien nutzen ihre Chance, mit dem Hochwasser Politik zu machen. Besonders in Deutschland, wo diesen Herbst eine nationale Wahl ansteht, in der unter anderem ein:e Nachfolger:in für die aktuelle Bundeskanzlerin Angela Merkel gewählt werden soll, nutzen die Politiker:innen das Hochwasser auch, um damit Wahlkampf zu betreiben.

SPD-Kanzlerkandidat und amtierender Vizekanzler Olaf Scholz hat letzte Woche beispielsweise ein Katastrophengebiet in Rheinland-Pfalz besucht und dort zu mehr Klimaschutz aufgerufen. Auch CDU-Kandidat Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfahlen, das vom Hochwasser besonders stark betroffen war, nutzt die Gelegenheit, um sich politisch zu profilieren und die Wichtigkeit des Klimaschutzes zu betonen.

Etwas schwieriger hat es hingegen die Grüne Kandidatin Annalena Baerbock. Zwar könnte das Thema Klimawandel den Grünen insgesamt helfen, allerdings hat sie im Gegensatz zu ihren Konkurrenten Scholz und Laschet zurzeit kein Regierungsamt inne. Das bedeutet, dass sie nicht in die betroffenen Katastrophengebiete reisen kann und dadurch weniger mediale Aufmerksamkeit erhält. Insgesamt gehen Wahlforschende aber davon aus, dass das Hochwasser keinen grossen Einfluss auf die Wahl haben wird.

Heute Hochwasser – morgen was?

Wie ihr seht, haben aktuelle Begebenheiten immer Einfluss auf die Themen, die in der Politik ausgehandelt werden. Und dies ganz abgesehen davon, ob die Ursache natürlicher oder menschengemachter Art ist: So haben beispielsweise auch die Fridays for Future und andere Bewegungen die Wahlen im Jahre 2019 beeinflusst. Wir von Discuss it sind deshalb der Meinung, dass es sich lohnt, sich für diejenigen Themen einzusetzen, die dir wichtig sind. Denn nur so rücken sie auf die politische Agenda! Und welches ist dein Herzensanliegen?

Erstellt von Alina Zumbrunn